Wir leben in einer Demokratie. Und ich als Glarner liebe und spüre diese direkteste Form der Demokratie weltweit, die unserem Kanton auf fast magische Weise erhalten bleiben durfte. Unsere Demokratie zeichnet sich in der Theorie dadurch aus, dass passiert, was mehr als die Hälfte der Menschen wollen.
Sven Keller, Vorstand Junge Grüne Glarus

Polittalk Südostschweiz, 5. März 2021

Demzufolge ist mehr als die Hälfte der Glarnerinnen und Glarner einverstanden damit, dass unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder unserem Handlungsunwillen zum Opfer fällt. Offenbar wollen auch mehr als die Hälfte der Glarnerinnen und Glarner auf Kosten der Dritten Welt leben. Wir sind einverstanden damit, dass unser Flugverkehr keine Mineralölsteuer beizusteuern hat, weil man vor 25 Jahren einmal den internationalen Verkehr stärken wollte. Mehr als die Hälfte der Glarnerinnen und Glarner sind völlig okay damit, dass die Kleidung, die man teilweise in unseren Läden kaufen kann, von Kindern in fernen Ländern hergestellt wird und die Produktion vor Ort ganze Flüsse vergiften. Wir sind damit einverstanden, dass Glarner Firmen, Kriegsteile herstellen, welche nach Saudi-Arabien verkauft werden. (Ich hoffe sehr diese Information ist nicht mehr aktuell). Seit 2016 ist klar, dass wir mehrheitlich damit einverstanden sind, dass in unserem Land mit Nahrungsmitteln anderer Länder spekuliert werden darf und wir verteidigen unser Recht auf billiges Fleisch jeden Tag, dessen weltweite Produktion mehr als einen Drittel (!) der gesamten Regenwaldfläche seit 1950 einfach vernichtet hat. Wir wollen günstiges Benzin, um die Idylle unseres Klöntals mit hunderten Blechbüchsen zuzustopfen und die Natur zu konsumieren, als wäre sie eine austauschbare Selbstverständlichkeit und die Nebenstrassen auf denen wir als Kinder gespielt haben, findet heute die Mehrheit des glarner Volkes besser, wenn sie mit Autos zugestellt sind.

Weitere Beispiele gäbe es zuhauf. Und unsere Demokratie möchte das alles? Mehr als die Hälfte von uns kann hinter all diesen Missständen stehen? Ich bezweifle das schwer.
Die allermeisten Menschen in meinem Umfeld, mit denen ich über diese Themen spreche, empfinden diese Fakten eigentlich als ziemlich inakzeptabel.

Trotzdem wache ich jeden Morgen mit dem misslichen Gefühl auf, dass wir als Gemeinschaft noch immer nicht die Kraft gefunden haben, diese Widersprüchlichkeiten wirklich anzugehen. Ich wehre mich mit aller Energie dagegen, dies zu akzeptieren.

Das ist (m)eine junge Perspektive.