Kolumne «Südostschweiz», 23. Mai 2025, von Andreas Streiff, Vorstandsmitglied der GRÜNEN des Kantons Glarus

„Warum können wir nicht jeden Tag Spaghetti Bolognese essen, wenn’s doch schmeckt?“ – „Ist Bio wirklich besser oder nur teurer?“ – „Was machen wir mit den Resten, die niemand will?“ – „Und wieso trinken wir nicht alle dieselbe Milch?“

Solche Fragen höre ich von Jugendlichen in der Wohngruppe, in der ich als Sozialpädagoge arbeite. Was nach einer banalen Diskussion über Essgewohnheiten klingt, führt schnell zu grossen Themen unserer Zeit: Konsum, Klima, Gerechtigkeit – und Verantwortung.

Verantwortung begegnet uns überall – in Politik, Medien, Alltag. Doch häufig wird sie im Sinne eines neoliberalen Denkens dem Individuum allein zugeschrieben: Jede und jeder soll nachhaltig einkaufen, Food Waste vermeiden, klimagerecht konsumieren. Aber was, wenn die Voraussetzungen fehlen? Wenn gesunde, regionale oder saisonale Lebensmittel kaum erschwinglich sind? Wenn das System nachhaltiges Handeln eher erschwert als ermöglicht?

Gerade Jugendliche erleben diese Widersprüche hautnah. Wissen ist da, aber es führt nicht automatisch zu entsprechendem Handeln. Einerseits wird von ihnen verlangt, Eigenverantwortung zu übernehmen, andererseits fehlen ihnen oft die nötigen Mittel. Eigenverantwortung ist wichtig, keine Frage. Doch sie hat Grenzen – insbesondere, wenn komplexe Herausforderungen wie die Klimakrise oder soziale Ungleichheit uns überrollen und sich die Schuldfrage in endlosen Debatten verflüchtigt.

Nur durch das Zusammenspiel von persönlichem Engagement und gerechten politischen Rahmenbedingungen kann echte Veränderung entstehen – ökologisch, sozial, gerecht.
Andreas Streiff, Vorstandsmitglied Grüne Kanton Glarus

In meiner Arbeit zeigt sich täglich das Spannungsfeld zwischen Autonomie und Fürsorgepflicht. Ich sehe es als meine Aufgabe, Jugendliche zu einem selbstbestimmten Leben zu ermächtigen – und gleichzeitig für Strukturen einzustehen, die faire Chancen bieten. Denn Essen, Konsum und Lebensstil sind keine reine Privatsache. Sie spiegeln gesellschaftliche und politische Verhältnisse wider.

Verantwortung bedeutet für mich deshalb nicht nur zu fragen: „Was kann ich tun?“, sondern auch: „Was müssen wir gemeinsam möglich machen?“. Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, in denen nachhaltiges Handeln nicht vom Portemonnaie abhängt, sondern zur Selbstverständlichkeit werden kann.

Es braucht also beides: die Verantwortung jedes Einzelnen und das kollektive Handeln aller. Es gibt keine einfachen Antworten für komplexe Probleme. Die ökologische Frage ist untrennbar mit der sozialen verbunden. Nur durch das Zusammenspiel von persönlichem Engagement und gerechten politischen Rahmenbedingungen kann echte Veränderung entstehen – ökologisch, sozial, gerecht.

Ich möchte Sie deshalb gerne einladen: Halten Sie beim nächsten Alltagsentscheid kurz inne. Was ist meine Verantwortung als Einzelperson und was ist unsere gemeinsame Verantwortung als Gesellschaft?

Verantwortung beginnt im Kleinen. Aber sie wird erst wirksam, wenn wir über den Tellerrand denken und sie gemeinsam tragen. Für heute und für die zukünftigen Generationen – so wie es auch in der Präambel unserer Bundesverfassung verankert ist.

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